Monday, November 13, 2006

"O tempora, o mores"

Wir verbringen hier in Abu Dhabi wesentlich mehr Zeit im Auto als in der Schweiz. Allein schon deswegen, weil wir unsere Kinder mit wenigen Ausnahmen täglich zur Schule und wieder zurück fahren. Selbstverständlich kennt die Deutsche Schule kein Blockzeitensystem. Wäre auch zu schön. Der Unterricht beginnt wohl für alle drei um 0800 Uhr, beim „Feierabend“ allerdings klaffen die Zeiten auseinander. Mindestens ein Kind hat täglich um 1315 Uhr die Schule aus. Für die anderen endet der Unterricht um 1520 Uhr. Hinzu kommen diverse „AG’s“, sogenannte Arbeitsgemeinschaften, die in der Schweiz vielmehr unter dem Titel „Freifach“ im Stundenplan figurieren würden. Da wären etwa verschiedene Sportfächer wie Volleyball, Fussball, Rollerblade oder Tennis. Ausserdem gibt es Angebote in den Bereichen Medien, Englischkonversation oder Basteln. Letztgenanntes ohne Gerda Conzetti. Die zentraleuropäische Leserschaft kann sich nun vielleicht vorstellen, wie komplex der elterliche „Shuttle-Service“ aufgebaut werden muss, um all diesen schulischen Aktivitäten gerecht zu werden.

So bin ich denn kürzlich mit einer aufgrund der frühen Morgenstunde wenig redseligen Kinderschar um 0730 Uhr im „Al Qurm“ Compound losgefahren. Es herrschte dichter Nebel. Und die Eindrücke auf dieser kurzen Fahrt zur Deutschen Schule, inspirierten mich einmal mehr, in die Tasten meines Laptops greifen.

„Was für Zeiten, was für Sitten!“

Wer die Gebräuche und Sitten auf den Strassen dieses Landes kennt, weiss um den extravaganten Fahrstil, den man hier zu gewärtigen hat. Es gibt kaum einen Tag, an dem wir nicht an einem Verkehrsunfall vorbeifahren. Glücklicherweise handelt es sich in der Regel bloss um Blechschaden. Das ist insofern erstaunlich, als dass die Fahrsitten schlicht radebrecherisch sind. Überholen darf man sowohl links als auch rechts. Und wer die Wahl hat, hat bekanntlich die Quahl. Die zumeist drei- und vierspurigen Ausfallstrassen bieten ein ideales Tummelfeld für waghalsige und spontane Überholmanöver im Stil der Formel eins. Es wird wild ausgeschert und bis auf wenige Zentimeter zum vorderen Fahrzeug aufgeschlossen.

„Was für Zeiten, was für Sitten!“

„Expect the unexpected“ heisst die Devise auch beim Kreisverkehr. Wie man in ein „Roundabout“, hier meist dreispurig, einfädelt, scheint gänzlich unbekannt. Oftmals wird vor der Einfahrt angehalten, was mitunter auch zu Stausituationen vor dem Kreisel führt. Losgefahren wird just dann, wenn ein Wagen im „Roundabout“ mit viel Schuss die nächste Ausfahrt ansteuert. Aber das ist schwer zu erkennen weil nicht geblinkt wird. Vortritt haben übrigens sowieso die Fahrzeuge auf der innersten Spur. Was den Automobilen im Zentrum des Kreisels ungeahnte, juristisch abgesicherte, Möglichkeiten beim spontanen Verlassen des Roundabouts bietet.
Überhaupt wird der „Blinker“ grundsätzlich nur in Ausnahmefällen verwendet. Ich bin mir gar nicht sicher, ob dessen Bedienung hier allen bekannt ist. Ganz im Gegensatz zur Hupe, die sich grosser Beliebtheit erfreut und die rüden Absichten der Lenker und Lenkerinnen lautstark unterstreicht.

„Was für Zeiten, was für Sitten!“

Auch dem guten Cicero selig hätte es wohl die Sprache verschlagen ob diesem Fahrverhalten. „Wie lange soll dein wahnsinniges Treiben uns noch verspotten? Bis zu welcher Grenze wird sich deine zügellose Frechheit brüsten?“ attackierte er in seiner legendären Rede im Senat den Putschisten Catilina. „Wahnsinnig“ ist das Treiben auch auf den Strassen von Abu Dhabi und ebenso „zügellos“ das Verhalten mancher Verkehrsteilnehmer. Tempolimiten werden notorisch ignoriert. Zwar wachen in regelmässigen Abständen zahlreiche Radarfallen am Strassenrand, blitzen tut es jedoch erst, wenn mit mehr als 20km/h zu schnell gefahren wird. Bei Nebellagen wie an besagtem Tag wird – ungeachtet der verminderten Sicht – äusserst aggressiv gefahren. Ein Grossteil der Fahrer/innen aktiviert die konstant blinkende Warnleuchte und beraubt sich damit der Möglichkeit, einen Spurwechsel oder ein Abbiegen den anderen Fahrzeugen anzuzeigen. Im besten Fall sind gar die Scheinwerfer aufgeblendet. Schliesslich will man ja gesehen werden! Im Radio ermahnen die Moderatoren derweil, NICHT die Warnleuchte sondern das Nebellicht am Heck des Wagens einzuschalten. Aber alles umsonst. Die „Gulf News“ wird in ihrer nächsten Ausgabe über 200 Unfälle im morgendlichen Geschäftsverkehr allein im Raum Dubai vermelden. Eine traurige Bilanz.

A propos Radio. Wir haben die Wahl zwischen mindestens vier Stationen. Von „Radio 1“ über „Radio 2“ und „Channel 4“ bis hin zu „Radio 7“.
Beginnen wir bei „Radio one – the Nation Station“. Oder wie die Tschingels auch vermelden: „The best in Dance n’ R&B!“ Klingt vielversprechend, oder nicht? Die Kinder jedenfalls lieben dieses endlose Bassgehämmere, während den geplagten Eltern melodiösere Weisen lieber wären.
Da passt „Radio 2“ schon wesentlich besser ins akkustische Verständnis der Erzieherschaft. Dieser Sender wirbt mit dem Slogan „...the better mix....“ Und da liegt er gar nicht so falsch, spielen die Moderatoren doch Hits der 70er, 80er und 90er Jahre. Daneben gibt’s viel Sound aus den aktuellen Charts – oder jeden Morgen bei der Fahrt zur Schule das „Powerbreakfast with Almarai“ (Produziert Milchprodukte verschiedenster Art).
Radio oder „Channel 4“ scheint etwas weniger populär trotz vielseitigem Musikangebot. Und schliesslich bleibt noch „Radio 7“, das eigentlich „Radio sabha“ heisst und ein arabischer Sender ist. Deshalb fällt es mir schwer, an dieser Stelle kompetent über die Moderatorenleistung oder über die vermittelten Inhalte Auskunft zu geben. Zwar versuche ich immer wieder, 15 Minuten nach der vollen Stunde die Nachrichten des Tages (akhbar alyoum) zu verfolgen, doch mit dem Verstehen hapert es noch ganz gewaltig. So untermalen wir denn – je nach Laune und Tageszeit – die zahlreichen Autofahrten mit munterer Musik der Kanäle eins, zwei,vier oder sieben.
Und wenn uns das aktuelle Angebot nicht passt, schieben wir kurzerhand eine CD ein.
Und dann, ja dann haben wir die Wahl zwischen Florian Ast, Baschi oder Züri West.

„Was für Zeiten, was für Sitten...“

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