Vier Jahre in der Wüste! Während mein anfänglicher Mitstreiter Toni bereits seit zwei Jahren dem Rentner-Müssiggang frönt, feiert meine Wenigkeit den vierten Jahrestag im Simulator.
Ist die überschlagsmässige Kalkulation in meinem vom Notverfahren- und Checklistenstudium gesättigten präfrontalen Kortex korrekt, so dürfte dies etwa die 57ste Bestätigung meiner pilotischen Leistungsfähigkeit gewesen sein. Nebst unzähligen Trainingsübungen, Umschulungen oder den jährlichen
„Line-Checks“, bei denen jeweils unsere tägliche Arbeit auf der Strecke unter die Lupe genommen wird.
Die beiden Simulatortage sind immer wieder anforderungsreich. Am ersten Tag wird trainiert, am zweiten Tag gecheckt. So die offizielle Variante, immerhin gilt es, eine gesetzliche Auflage zu erfüllen. Ein nicht bestandener
„Operator Proficiency Check“ (OPC) entzieht dem Lizenzhalter das Recht zur weiteren Ausübung seines Berufes. Zumindest bis zur erfolgreichen Wiederholung. Unser Freund Peter Lembach staunt immer wieder über diese Kontrollmechanismen. Als Arzt sieht er sich täglich mit heiklen Entscheidungen konfrontiert, deren Konsequenzen schwierig abzuschätzen sind. Sein Staatsexamen und seine Facharztausbildung bescheinigen ihm jedoch Qualifikationen zur lebenslangen Ausübung seines Berufes. Angenehm für ihn, als potentieller „Kunde“ wünschte ich mir natürlich auch in der Medizin möglichst weitgehende Kontrollen. Wohl wissend, dass die totale Sicherheit angestrebt, aber niemals erreicht werden kann.
Zurück zum Simulator. Am ersten Tag kämpfen mein indischer Copi, der erst sechs Monate für Etihad fliegt und ziemlich unerfahren ist, mit blockierten Landeklappen, reduzierten Navigationscomputern, Vereisungsproblemen, Windscherungen, Flugzeugen auf Kollisionskurs, einem Triebwerk- und einem doppelten Hydraulikausfall (in dieser Verbindung besonders delikat) sowie mit einem unlöschbaren Triebwerkbrand. Vier Mal starten wir in Nagoya, zwei Mal kehren wir um, in den beiden anderen Fällen landen wir unseren fiktiven A330 in Osaka. Wir arbeiten unter Zeitdruck. In vier Stunden stehen die nächsten Kandidaten mit feuchten Händen und klammem Gefühl vor dem Simulator. Als Beübter, entweder in Anflugkarten-Ordnern, Handbüchern oder Checklisten nach der richtigen Seite suchend, verliere ich jegliches Zeitgefühl. Vier Stunden schrumpfen zu vierzig Minuten. Ich kommuniziere mit dem Kollegen zur Rechten und dem Instruktor im Rücken, der in kostensparender Personalunion die freundliche Kabinenchefin, den japanischen Fluglotsen, den Etihad Stationsvertreter und den technischen Experten vom Maintenance Kontrollcenter vereint. Ausserdem verkommt die ganze Übung in meinem Alter immer wieder zum Kampf mit der verrutschten, angelaufenen oder unauffindbaren Lesebrille. Die anfallenden Kopfrechnungen, in der Regel handelt es sich um banale Multiplikationen (1.35x2.45x1070) und Additionen (138+15+3) auf Primarschulniveau, tippe ich in solchen Momenten in mein Handy, das mich auch bei multiplen Systemfehlern im Cockpit nicht im Stich lässt.
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Das Programm des zweiten Tages präsentiert sich zwar „humaner“, bieter aber nach wie vor genügend Spielraum für
„errare“. Allein der Prüfungsdruck reduziert die cerebrale Virtuosität um einige Prozent. Interessanterweise falle ich in Drucksituationen, auch nach vier Jahren bei Etihad Airways, in frühere Muster zurück. Unvermittelt entfährt mir ein Begriff, wie ich ihn über Jahrzehnte im Swissaircockpit angewendet habe.
Beim Check wird grosses Schwergewicht auf Starts und Anflüge bei Nebel, sogenannte
„Low Visibility Procedures“, gelegt. Selbstverständlich erschweren fantasievoll eingeflochtene technische Probleme die reibungslose Abwicklung. Ausserdem muss jeder Pilot das fehlerfreie Handling eines Triebwerkausfalls beim Start sowie zwei einmotorige Anflüge, im einen Fall mit einem Durchstart, demonstrieren. Beurteilt werden neben den fliegerischen Fähigkeiten das gesamte „Failure Handling“, das Problemlösungsverhalten und die Kommunikation. Einzig beim Anlegen der Sicherheitsgurte geniesse ich die sprichwörtliche
"Freiheit über den Wolken" (auch wenn ich mich beim Anschnallen in der Regel noch darunter befinde...).
Der Weg zum erfolgreichen Cockpitmanagement liegt in der Gelassenheit. Wer zurücklehnt und sich einen Moment Zeit nimmt, gewinnt den Überblick. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Besonders junge Kollegen neigen zu raschen Konklusionen. Der Konflikt mit dem alternden Kapitän ist vorprogrammiert, und die Klarheit schaffende Diskussion verlangt entweder Fingerspitzengefühl oder brachiale Rhetorik.
Die abschliessende Beurteilung durch die Instruktoren unterscheidet sich deutlich von der Praxis meines früheren Arbeitgebers. Besonders im Bereich der Persönlichkeitsbeurteilung. Meines Erachtens findet bei Etihad eine solche kaum statt. Qualifizert wird mit Buchstaben, nicht mit Worten und Sätzen. Ein simples
„S“ vereint die Pilotenmehrheit im breit definierten (Standard-)Mittel und erledigt die Angelegenheit auf unkomplizierte Weise. In der Schweiz wird nicht nur mehr Detailkritik betrieben, sondern auch verstärkt gelobt. Doch hierzulande stammen viele Instruktoren aus dem asiatischen Raum. Hohe Anforderungen sind die Norm, mit Lob wird sparsam umgegangen. Wie sagte doch gestern unser malaysischer Instruktor beim Briefing vor dem Check: „If I don’t let you repeat any of the elements, then your check was ok.”