British Airways sorgt für Schlagzeilen. Genauer gesagt, British Airways und Boeing, zusammen mit dem Triebwerkhersteller Rolls Royce. Der Zwischenfall in London Heathrow wirft Fragen auf. Vieles ist unklar. Die Untersuchungen sind erst angelaufen, eine gewaltige, träge Maschinerie bestehend aus diversen Behörden, Ämtern, Beamten, Airlineexperten, Unfallexperten, Triebwerkexperten und vielen mehr. Erfreulich ist, dass alle Beteiligten überlebt haben und niemand zu grösserem Schaden gekommen ist.
Doch bei der Betrachtung der diversen Presseberichte im Internet beschleichen mich ungute Gefühle. Der Unfall ist das eine, die Untersuchung das andere. Hinzu kommt die Frage nach dem Umgang mit den Medien, oder präziser, nach dem Umgang mit der Besatzung. Es sind kaum 24 Stunden verstrichen, und der Captain tritt zusammen mit dem Senior First Officer und dem „Cabin Service Director“ (eine Frau) vor die Presse.
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/england/london/7196748.stm)
Nach viel Applaus und noch mehr Blitzlichtern verliest er ein Statement, das mit Sicherheit nicht seiner Feder entstammt. Gelobt werden das Teamwork wie auch der Einsatz der gesamten Besatzung. Ein Dank geht auch an die involvierten Rettungskräfte. Ein Werbespot, wie ihn kein Regisseur besser inszenieren könnte. Ende gut alles gut? Nicht unbedingt.
Cleverer PR-Akt
Für einmal werden die Protagonisten zu Helden erklärt. Die Masse jubelt ihnen zu, der Airlinevertreter steht zufrieden applaudierend daneben. Dies bevor wir offiziell wissen, was überhaupt geschehen ist. Weshalb nur diese Hast? Was soll der Welt damit signalisiert werden? In erster Line geht es den BA-Managern wohl darum, verunsicherte Passagiere zu beruhigen.
Doch blenden wir zurück ins Jahr 1998. Am 2. September stürzt eine MD-11 der Swissair bei Peggy’s Cove in Kanada brennend ins Meer. Niemand überlebt den Unfall. 229 Menschen finden den Tod. Schon bald einmal wird Kritik am Verhalten der Piloten laut. Warum sie nicht unmittelbar zur Landung angesetzt hätten, fragen sich Fachleute und Journalisten. Es liegen zu diesem Zeitpunkt wenig Fakten vor, umso wilder wird spekuliert. Tatsache ist, dass das Flugzeuggewicht über der zulässigen Landelimite lag und die Piloten zuerst den überschüssigen Sprit loswerden wollten. Tatsache ist ebenfalls, dass sich die Ereignisse in einer Dynamik beschleunigten, die im Cockpit nicht abzuschätzen war.
Rückblickend sieht alles anders aus. Tote Piloten können keine Stellung nehmen, sich nicht erklären. Auch eine Blackbox bringt nicht in allen Fällen völlige Klarheit. Lücken aber bieten Nährboden für Vermutungen und Gerüchte. Dies natürlich lange bevor die Untersuchung erste Erkenntnisse zutage bringt. Vielleicht fällt es auch – so widersprüchlich das klingen mag – leichter die Toten zu kritisieren, weil ihnen im Sarg ein Hauch von Heldentum anhaftet. Ein Status, der die Würde der Gescheiterten bewahrt. Sie haben alles versucht, haben Checklisten abgearbeitet bis zum Ende, und haben letztlich ihr Geheimnis mit ins Grab genommen. Nicht so im besagten Fall der British Airlines. Die Piloten leben, sind bei bester (körperlicher) Gesundheit und haben gar die Kraft, gefasst und geeint vor die Medien zu treten. Doch man bedenke; wäre der gleiche Unfall in einem anderen Land passiert, sässen sie vielleicht hinter Gittern.
Auch wenn sie wenig Konkretes in die Mikrofone preisgeben – die Wirkung ist unbestritten. Man muss den Medienverantwortlichen von British Airways ein Kränzchen winden. Dieser Auftritt ist zweifellos ein cleverer PR-Akt, der aller Welt zeigen soll, wie sicher BA-Piloten die ihnen anvertrauten Fluggeräte beherrschen.
Das Pendel schwingt
Ich mag und kann das nicht in Frage stellen. Noch weniger zweifle ich das Handeln dieser Boeing 777-Piloten in Heathrow an. Für einmal hat das (Medien-) Pendel auf die positive Seite ausgeschlagen und ist der Besatzung wohlgesinnt. Es könnte anders sein.
Und genau hier liegt das Problem. Die Piloten verkommen bei derartigen Zwischenfällen zum Spielball der Airline-Verantwortlichen. Sündenbock oder Held – das bleibt die Frage. Es ist meine Überzeugung, und eine nachhaltige Erkenntnis – spätestens seit der Ausbildung zum Kapitän – dass auch bei vermeintlich fehlerfreiem Arbeiten (was ja in Wirklichkeit sowieso nicht möglich ist) Lücken entstehen. Lücken, die raffinierte Anwälte stets aufspüren und zu nutzen wissen. Wer glaubt, hinter unseren Handbüchern mit ihren Gesetzesparagraphen Deckung zu finden, irrt. Wer der naiven Auffassung ist, jede Fluggesellschaft würde sich nach einem Unfall bedingungslos hinter ihre Besatzung stellen, täuscht sich ebenfalls. Die Airline wird es wohl verstehen, sich der Öffentlichkeit taktisch geschickt zu präsentieren. Spätestens mit der Verleihung des „vierten Streifens“ am Jacket wird dem frischgebackenen Kapitän die ultimative Verantwortung für die „Mission Flug“ übertragen. Das ominöse letzte Glied einer langen, komplex aufgebauten Handlungskette.
Es ist allein das Selbstverständnis des Kapitäns, das sein Tun und Handeln rechtfertigt. Ein Selbstverständnis, das auf Erfahrung wie auch auf technischem und operationellem Wissen beruht. Natürlich kann er seine Strategie niemals alleine umsetzen – auch wenn er sie alleine zu verantworten hat. Eine kompetente und effizient arbeitende Besatzung bildet die Grundlage. Auch in London war es der Copilot und nicht der Kapitän, der das Flugzeug gesteuert und zu Boden gebracht hat. Ich wurde verwundert gefragt, weshalb denn der Captain in dieser Situation nicht selber das Steuer übernommen hätte. Die Antwort ist einfach: Weil ihm schlicht die Zeit dazu fehlte. Der Vorfall kündigte sich auf 600 Fuss über dem Boden an, das entspricht rund 200 Metern. Bis zum Aufschlag verblieben wohl nicht viel mehr als 20 -30 Sekunden. Ein derartiger Zeitdruck, kombiniert mit dem zweifellos gewaltigen Überraschungseffekt lassen wenig Spielraum.
Wunder gibt es keine und einmal mehr gilt: „Expect the unexpected“. Wer nicht an sich und sein Team glaubt, hat bereits verloren. Und jeder Pilot lebt von der Hoffnung, nie in eine solche Situation verwickelt zu werden. Denn das Pendel schlägt nicht immer auf die „richtige“ Seite aus. Doch es liegt in der Natur des Pendels, dass es schwingt. Und dabei wird es nach jedem Unfall mit Sicherheit irgendwann die Piloten treffen – und dabei entscheiden in der Frage über „Sündenbock oder Held“.
Monday, January 21, 2008
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3 comments:
Danke Dide. Ein Text, der in jedem UK zur Pflichtlektüre gehören sollte.
Hello Mr. "Mission Commander"
(nein ich meine nicht Mr.Picard von Raumschiff Enterprise)
...wie Sie sagen, sind Sie ultimativ verantwortlich für die "Mission Flug" und die "komplex aufgebaute Handlungskette" als deren "ominöses letztes Glied" sie agieren und reagieren müssen.
Wie man in solch einer Position zum Helden hochgejubelt werden kann, oder je nach dem, zum Sündenbock verdammt, je nach Pendel-Ausschlag...das hat mich zum Nachdenken angeregt und bewegt.
Toller Blog hier....
Tja, dies passiert sehr schnell, schneller als man denkt. So manche Firma sollte sich sehr genau überlegen, was alles passieren kann, wenn man Namen und Bildmaterial an die Presse gibt. Die breite Masse will nur eines, möglichst blutrünstige Stories - pfui Deibel.
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