Wieder einmal bringt mich mein Einsatzplan in die Schweiz. Der Aufenthalt im Heimatland ist kurz, der Dauerregen versetzt mich schon bald in winterlich-regnerische Tristesse. Helvetischer Winteralltag halt, so wie ich ihn die vergangenen 50 Jahre erdauert habe. Den freien Tag nutze ich – wie bei den meisten Genf-Rotationen – mit einer Stippvisite in Zürich, wo ich mich unter anderem mit meinem Bruder an seinem Arbeitsplatz zum Mittagessen treffe und in der Kantine des Schweizer Fernsehens, zwischen Nachrichtenmoderatorinnen und Sportreportern, wieder einmal einen deftigen „Fleischkäse“ verdrücke. Und zwischen Salat und Kaffee stelle ich fest, dass auch beim „SF“ am 7. Januar noch an allen Ecken „Ä guets Nöis“ gewünscht wird. Ich muss schmunzeln und stelle mir – wie jedes Jahr übrigens – die banale Frage, wie lange es wohl angebracht ist, gute Wünsche zum neuen Jahr auszutauschen. Bis Ende Januar oder gar bis Ostern? Rein theoretisch kann ich auch am 1. August, bei der feierlichen Betrachtung des Höhenfeuers meinen Landsleuten „Ä guets Nöis“ zuraunen. Das Jahr ist zwar so neu nicht mehr, die guten Wünsche aber mögen dennoch gelten. Wie lange darf man eigentlich „Happy Birthday“ wünschen? Der Volksmund sagt, dass Gratulationen vor dem Wiegenfest nicht zulässig sind, über eine post-anniversäre Limite ist mir allerdings nichts bekannt.
Bequeme SBB
Themawechsel.
Statt mit dem Flugzeug reise ich auf der Schiene (Der Kluge fährt im Zuge). Abfahrt in Genf 08.36 Uhr, Ankunft Zürich Flughafen 11.50 Uhr. Gelandet sind wir bereits am Vorabend, nach einem ereignislosen Flug mit starken Gegenwinden.
Ich setze mich in die erste Klasse, in ein Abteil unmittelbar neben dem Speisewagen. Dank Halbtax bezahle ich für Hin- und Rückfahrt am gleichen Tag nur 108 Franken. Damit wird die Reise mit der Eisenbahn nicht nur billiger als der Lufttransport, sie ist auch wesentlich bequemer und stressfreier. Mit Tagi, einem Buch (Wir waren die Swissair), Laptop und der obligaten (immerhin stehe ich dazu...) „Schweizer Illustrierten“ ausgestattet, besteige ich den beinahe leeren Zug. Ich liebe sie, diese langen Fahrten, bei denen mir viel Zeit für Gedankenflüge und Träumereien bleibt, bei denen ich minutenlang aus dem Fenster blicke und dabei – ohne die geringste spürbare Erschütterung – die Grenze zwischen romanischen und germanischen Sprachwurzeln, den "Röschtigraben" passiere. Wobei mir angesichts solcher Passagen immer wieder bewusst wird, wieviele Grenzen – politische, sprachliche, religiöse und kulturelle – ich bei meiner Arbeit in kürzester Zeit überfliege. Heute schreiben wir Montag, den 7. Januar. Noch vor vier Tagen habe ich in Toronto meine Utensilien in den Koffer gewurstelt, bin über Kanada, den Nordatlantik, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Zypern, Libanon, Syrien, Jordanien, Saudi Arabien und Bahrain nach Abu Dhabi geflogen. Habe am folgenden Tag zu früher Stunde, nach schlechtem Schlaf, meine aus der Schweiz kommende Familie am Flughafen abgeholt, um innert der nächsten 24 Stunden bereits wieder ein frisches Uniformhemd überzustreifen und mich erneut zur Arbeit zu melden. Und jetzt dämmere ich im bequemen SBB-Sitz vor mich hin, gedankenverloren und auch ein bisschen müde.
Risikoreiches Reisen
Ich schlage den „Tagi“ auf. Etwas dünn, die Montagausgabe, denke ich. Wurde wohl alles in der Sonntagspresse abgehandelt. Der Wirtschaftsteil hat wenig zu berichten, die Märkte müssen nach dem Wochenende zuerst wieder auf Touren kommen. Im Moment fehlt wohl das Schmieröl und sie scheinen eher zu tauchen. Mit ihnen meine Pensionskasse, aber das ist ein anderes Thema und soll hier nicht abgehandelt werden. Dafür sticht mir ein anderer Artikel ins Auge. Ein Bericht über den neuen Trend, mit Laptop und Handy im Kaffeehaus zu arbeiten. Statt zuhause oder im Büro denkt, brütet oder kreiert der urbane Neuzeitmensch inmitten pulsierender Kaffeewelten und lässt sich so vom Lebensgeist seiner Zeitgenossen und -genossinnen inspirieren. „Digitale Bohème“ betitelt der Verfasser diese Spezies moderner Brüter, und irgendwie glaube ich mich, als Vielreisender der ich bin, mit diesen Menschen verwandt. Auch ich habe meinen Laptop ständig dabei, allein schon weil er ein offizielles und verbindliches Arbeitsgerät ist, auf dessen Festplatte sämtliche Handbücher und Vorschriften gespeichert sind. Auch ich setze mich mit Vorliebe in ein Kaffeehaus, irgendwo auf der Welt, und klappe den Deckel des Kleincomputers inmitten klirrender Tassen auf. Da mein Wirkungskreis weitläufigere Dimensionen einnimmt, wäre die Bezeichnung „Digitale Voyageur“ wohl zutreffender. Denn ein Reisender scheine ich eher zu sein als ein „Bohèmien“ im ursprünglichen Sinne.
Ständiger Begleiter - der Laptop
A propos „Voyager“; Reisen ist eine Tätigkeit, die wesentlich mehr beinhaltet als nur das „Verschieben von einem Ort zum andern“. Dies wurde mir einmal mehr über diese Feiertage bewusst, als sich unsere deutschen Freunde, die Lembachs, auf eine zweiwöchige Kenia-Reise aufmachten und mir irgendwann per Email über die Verschlechterung der Reisebedingungen berichteten. Ausgehende Spritvorräte und Strassensperren hatten beunruhigende Ausmasse angenommen und die pünktliche Rückkehr am 2. Januar nach Abu Dhabi schien fraglich. Reisen in fremde Kulturen und wenig stabile Politsysteme bergen schwer abschätzbare Risiken, und ich mag nicht daran denken, wie beispielsweise ein Flugunfall vor einem afrikanischen oder chinesischen Gericht abgehandelt würde…
Auf der Flucht
Meine Reise von Genf nach Zürich und zurück verläuft indes störungsfrei. Keine Demonstrationen verzweifelter Blocher-Fans, keine Schienenbarrikaden. Die Energiezufuhr der Lokomotive scheint gesichert, unangenehme Überraschungen bleiben aus. Abgesehen vielleicht vom wenig appettitlichen Detail, dass während mindestens einer Viertelstunde irgend jemand im unteren Wagenabteil mit Brechattacken kämpft. Sowohl laut- als auch geruchstark. Muss wohl „heavy“ gewesen sein, der gestrige Abend, wenns heute morgen nicht einmal bis zur Toilette reicht. Oder vielleicht eine Schwangerschaft mit Vierlingen. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und verschiebe mich diskret um einige Wageneinheiten. Dabei überkommt mich das schlechte Gewissen. Wären nicht viel eher Hilfe und Unterstützung angebracht gewesen als feige Flucht? Ich zaudere und bin, im Wissen um mein begrenztes medizinisches Potenzial (wie schreibt man denn nun dieses Wort eigentlich richtig...?) unschlüssig. Angestrengt tippe ich weiter, bearbeite die Tastatur meines Laptops. Kein „Digitale Bohème“, kein „Digitale Voyageur“ – nein, ich bin ein „Digitale Echappeur“....
Flugzeug zu verkaufen
4 years ago
9 comments:
Hey,
wie immer ein toller Bericht. Um auf die Rechtschreibfrage einzugehen, man darf sowohl Potential als auch Potenzial nach der reformierten neuen deutschen Rechtschreibung schreiben^^.
Schöne Grüße aus Niederbayern
Auch das BILD zum Bericht finde ich irgendwie sehr treffend.
Die Landschaft rauscht vorbei, am Laptop vor dem Zugfenster.
Vom Reisenden ist nichts zu sehen.
Ich stelle mir vor, auf dem Bildschirm des Laptops wäre eine am Zugfenster vorbeirauschende Landschaft zu sehen, auf einem Laptop abgebildet, dessen Screen wiederum eine vorbeirauschende Landschaft, abgebildet auf dem Laptop am Zugfenster abbildete, auf dessen Bildschirm eine Landschaft.. .
Ich wusste nicht dass beides erlaubt ist, nach der reformierten neuen deutschen Rechtschreibung, Potential und Potenzial. Hat ja auch beides was für sich, zumindest nach meinem Sprachgefühl.
Hingegen habe ich Mühe mit der "behende von Fels zu Fels springenden Gemse", die nun nach neuer Rechtschreibung eine "behände Gämse" genannt werden soll, so wie man träge schreibt und äääähh...
Das gefällt mir und wertet die "Wüstenspuren" markant auf: eine Diskussion über die Deutsche Rechtschreibung. Muss einmal mehr auf meinen Deutschlehrer, Herrn Dr. Molling zurückkommen. Wie würde er sich über diesen Austausch freuen...
Lieber Herr Eppler,
wo wir gerade bei der Sprache sind, hätte ich da mal eine Frage an einen Piloten:
Ich hatte einmal die Gelegenheit, den Flugfunk zu hören, was sie so alles sprechen dort oben - alles in Englisch, notabene. Dabei fiel mir auf, dass man am Englischakzent sehr wohl einen Französischen von einem Italienischen Piloten unterscheiden konnte, oder einen Amerikanischen von einem Englischen. Auf einem Flug mit einer Deutschen Airline hörte ich einmal eine Kapitäns-Ansage in Englisch. Die Betonungen waren so, dass ich mir sicher war, dass es ein Schweizer Kapitän war und kein Deutscher, es war sozusagen "Schweizerenglisch".
Als Flugkapitän haben sie ja viel Erfahrung mit diesem Thema. Meine Frage wäre, lassen sich da viele Dialekte unterscheiden? Ein Albaner von einem Serben? Ein Jordanier von einem Türken?
Wenn ja, könnten Sie vielleicht einmal bei "Wetten Das" auftreten.
Mist!
Soll natürlich heissen "Wetten Dass"!
an Crowi:
Wie Sie richtig feststellen, wird in der Aviatik in erster Linie in Englisch kommuniziert. Allerdings gibt es einige Ausnahmen: Die Franzosen sprechen im eigenen Land Französisch, nicht nur beim Bestellen des Weines, nein auch im Flugfunk. Die Spanier verständigen sich - ebenfalls im eigenen Land - in Spanisch. Dies kann zu einem Sicherheitsfaktor werden, da "ausländische" Besatzungen das Gesagte nicht mitverfolgen können.
Was die diversen Akzente betrifft, so gilt Gleiches wie in der Alltagskommunikation. Ein Deutscher spricht nicht das gleiche Englisch wie ein Grieche. Das sind einfach Tatsachen. Es hängt letztlich von Ihrem Sprachgespür ab, ob Sie in der Lage sind, die einzelnen Akzente zu unterscheiden, respektive zuzuordnen. Für den Funkverkehr im Allgemeinen ist das kein Nachteil, man gewöhnt sich daran. Es gibt jedoch einzelne Länder, in denen die "Controller" sehr schwierig zu verstehendes Englisch sprechen. Dazu gehören v.a. asiatische Länder wie Thailand oder China. In den USA sprechen die Controller oft sehr schnell und die Frequenzen sind aufgrund des grossen Verkehrs stark ausgelastet. Das wiederum verlangt von uns Piloten grosse Aufmerksamkeit und ein unverzügliches Quittieren des erhaltenen Befehls. Dies nicht selten nach stundenlangen Nachtflügen. Zu den besten Controllern gehören zeifellos die Engländer. Sie sprechen deutlich und geben höchst professionelle Anweisungen. Ein Anflug in London ist auch im dichtesten Verkehr ein kommunikatives "Highlight"!
Alles klar? Sonst bitte einfach wieder fragen.
Liebe Grüsse
Danke für die interessanten Erläuterungen und für's "mithören".
Dabei fiel mir ein dass auch sonst viel Englisch vorkommt in Ihrem Beruf. Als Aviatikinteressierter hatte Ich einmal ein Video, einen Airbus Flug mit der ehemaligen Swissair von Züri nach Milano, vom Cockpit aus gefilmt. Man hört dort die Kommunikation mit den Fluglotsen bzw. Controllern. An einer stelle sagt der Captain zum Copiloten, nachdem man die Stimme eines anderen Fliegers gehört hatte:
"Das isch dä, wo euis dä level reschtriktiert!"
.... nicht zu vergessen ist das frankophon-anglistische Airbus Wording. Da werden nicht nur rudimentäre Grammatikregeln verletzt, sondern auch die elementarsten Höflichkeitsformen.
Der Sicherheits soll's dienen, meinen die Verantwortlichen. Ich nehe das jetzt einfach einmal zur Kenntnis :-)
Ja die Kantine des Schweizer Fernsehens. Ein wirklich interessanter Ort
Cheers
eppi
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