Erster Einsatz nach 18 Tagen Ferien. Nach 18 Tagen Ferien stürze ich mich ausgeruht und frisch gestärkt in die Uniform. Nach 18 Tagen Ferien ist man (wieder) überdurchschnittlich belastbar und ebenso überdurchschnittlich motiviert. Nach 18 Tagen Ferien sind sämtliche Sinne frisch geschärft, die Aufmerksamkeit erhöht, die Arbeitslust gesteigert. Nach 18 Tagen Ferien beginnt ein neues (Arbeits)Leben.
Der Kampf gegen die Müdigkeit
Dumm ist – auch nach 18 Tagen Ferien – eine Check-In Zeit kurz nach Mitternacht und eine Flugdauer nach New York von über 14 Stunden. Noch dümmer ist, wenn man als „Crew A“geplant ist, also während der ersten sieben Stunden arbeiten muss, und beim nachmittäglichen Versuch vorzuschlafen, kein Auge zugetan hat. Da ist schon beinahe die Hälfte der in den Ferien regenerierten Batterien verpufft. Beneidenswert die beiden Kollegen, die sich, kaum sind wir in der Luft, aus dem Cockpit verabschieden und mit Kissen und Wolldecke ausgestattet in den Crewbunk verziehen. Hart und grausam ist bisweilen das Pilotendasein, für Insider ist dies nichts neues, und alle Laien und Ignoranten sollte ich mit der dramatischen Schilderung meiner post-regenerativen Erlebnisse hoffentlich eines Besseren belehrt haben.
Mit lediglich neun Minuten Verspätung stossen wir unseren Airbus A340-500 vom Gate zurück und starten die vier Rolls Royce Trent Triebwerke. Die Route führt uns über den Iran und das Schwarze Meer Richtung Zentraleuropa. Ich ringe einen harten Kampf gegen rasch zunehmende Müdigkeit und tonnenschwere Augenlider. Bereits nach etwas mehr als zwei Stunden Flugzeit erbitte ich mir beim immer noch frisch wirkenden deutschen Copiloten eine Auszeit. Seine Nationalität spielt in diesem Fall eine untergeordnete Rolle. Ich erwähne sie lediglich der Vollständigkeit halber. Ich klappe meine Sitzlehne zurück und lösche das Licht. Dann schliesse ich die Augen. Sogleich sinke ich in einen kurzen, tiefen Schlaf, um nach 25 Minuten wieder neu gestärkt zu erwachen. Dennoch bin ich erleichtert, als sich die Kollegen der zweiten Schicht nach rund sieben Stunden Flugzeit im Cockpit melden und mir ermöglichen, die zweite Hälfte der Reise im Land der Träume zu verbringen. Zeit zum Erwachen bleibt mir vor der Landung genügend. „New York Approach“ schickt uns über der Station Calverton völlig unerwartet ins Holding. 20 Minuten drehen wir unsere Kreise. Grund dafür sind zahlreiche Zusatzflüge unmittelbar vor Weihnachten. Der „John F. Kennedy Airport“ platzt aus allen Nähten. In der Ankunftshalle vor der Passkontrolle stauen sich lange Schlangen. „Queueing up for Christmas“ statt „Driving home for Christmas“ scheint, zumindest heute, das Motto zu sein.
Hotelankunft mit Überraschung
Kurz vor neun Uhr treffen wir im Hotel in Long Island ein. Wie immer lacht uns in der familiär eingerichteten Lobby das Frühstücksbuffet entgegen, an dem wir uns kostenlos verpflegen können. Schlüssel werden ausgefasst, Handtaschen deponiert und bereits machen sich die ersten Besatzungsmitglieder daran, den „Waffle-Oven“ mit Teig zu füllen. Plötzlich kommt Unruhe auf. Ein Cabin Attendant vermisst ihre Handtasche. „I just put it on my chair“, gibt sie zu verstehen. „Only a few seconds ago“, fügt das Mädchen aus den Philippinen an. Doch obwohl viele Augen suchen, lässt sich keine Tasche finden. Die Aufregung steigt und nach wenigen Minuten unterstützt uns auch das Hotelpersonal bei der Suche. Ergebnislos. Die offenbar bestohlene Rona wirkt immer besorgter, befinden sich doch ihr Pass, sämtliche übrigen Ausweise, Fotoapparat, Handy sowie ihr Bargeld in der Tasche. Ein Aufenthalt im Ausland gekoppelt mit dem Verlust sämtlicher Ausweispapiere kommt einem GAU gleich und kann nur noch durch einen Herzinfarkt im Einsiedlerkloster getoppt werden. Was alle zuerst banalisieren erweist sich letztlich als krimineller Akt. Denn spätestens bei der Betrachtung des Videotapes der Überwachungskameras wird klar, dass die Tasche gestohlen wurde. Die Aufnahmen zeigen einen unauffälligen Mann, der an einem der hinteren Tische frühstückt. Dann erscheinen erste uniformierte Flight Attendants, die ihre Handtaschen an den Tischen deponieren und sich ihrer Jacken und Hüte entledigen. Dazwischen rauschen andere Hotelgäste durch den Raum, bestückt mit Plateaus und Kaffeetassen. Wir sehen deutlich, wie Rona ihre Tasche auf einen Stuhl stellt und sich Richtung Buffet entfernt. Wenige Sekunden später taucht der Täter auf, stellt sich im allgemeinen Trubel neben den Stuhl und blickt kurz in die Aufzeichnungskamera (!). Dann packt er mit der linken Hand das Objekt seiner Begierde und wirft im gleichen Zug die Winterjacke, die er in seiner anderen Hand hält, darüber. Dieser Vorgang dauert zwei Sekunden, dann entfernt sich der Mann, aufgezeichnet von der gleichen Kamera, ohne Hast Richtung Hinterausgang des Hotels. Und war nicht mehr gesehen!
Hilfe - wir wurden bestohlen!
Here comes the NYPD!
Jetzt wissen wir wohl, wer es war – allein, dies hilft uns nicht viel weiter. Kameras zeichnen auf, können aber nicht zaubern. Es bleibt die leise Hoffnung, dass der Täter der Tasche mit den Ausweisen vielleicht in der näheren Umgebund des Hotels weggeworfen hat. Wir suchen alle Ausgänge und Abfalleimer ab. Vergeblich. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Polizei zu benachrichtigen. Nach wenigen Minuten schon erscheint ein uniformierter Beamter, er muss wohl kurz vor seiner Pensionierung stehen, in der Hotelhalle. Die in diversen TV-Serien suggerierte „NYPD-Dynamik“ ist ihm nicht unbedingt eigen. Er bewegt sich eher langsam und schleppend. Auch verfügt er nicht über einen vor Kraft strotzenden Body. Seine Haltung ist gebeugt, das kurze Haar aschgrau, der Blick scheinbar uninteressiert. Mit Hilfe der äusserst hilfsbereiten Hotelcrew schaffen wir es dennoch, innerhalb etwas mehr als einer Stunde (nach 14 Stunden Flug, neun Stunden Zeitverschiebung, wenig Schlaf, einer Busfahrt und immer noch in Uniform...) den Rapport auszufüllen. Während die Besatzung langsam Auflösungserscheinungen zeigt und sich in die Gemächer zurückzieht, bleiben die Cabin Managerin und ich treu an der Seite des Opfers, trocknen Tränen und halten den Officer mit Fragen wie „Do you like the New York Islanders...?“ bei Laune (Leider ist er Fan der „New York Rangers“ – zu dumm...). Am Nachmittag kann Rona eine Kopie des Rapports auf der nahen Polizeiwache abholen. Damit sie nicht ohne Geld dasteht, hat die Besatzung eine Sammelaktion gestartet. Im entsprechenden Umschlag ist eine anständige Dollar-Summe zusammengekommen, die für einige „Last minute“-Geschenke und einen „Big-Mac“ reichen sollte. Mir bleibt, den Station Manager von New York anzurufen und ihn zu bitten, die entsprechenden Stellen in Abu Dhabi zu informieren. Schliesslich will ich sicherstellen, dass für Rona bei der Ausreise in New York und der Ankunft in Abu Dhabi keine weiteren Probleme entstehen. Ihr Crew-ID ist ihr glücklicherweise nicht Abhanden gekommen.
Abkühlung bei Eishockey
Für den Abend verabreden wir uns zum unverbindlichen Nachtessen im „Tin Alley“, einem nahe gelegenen typisch amerikanischen Lokal. Doch wie erwartet, hasten die Flight Attendants auch beim Eindunkeln immer noch durch die Malls, auf der verzweifelten Suche nach letzten Geschenken. Schliesslich haben sie alle am Vormittag wegen des Diebstahls viel Zeit verloren.
So bleiben letztlich sechs Männer, die sich aufmachen, ihre knurrenden Bäuche mit Sam Adams und Burger zu füllen: unsere Copis aus Ägypten und Deutschland, sowie der Kapitänskollege aus Trinidad, der eine Cockpitbesatzung seiner früheren Airline mitbringt. Und natürlich meine Wenigkeit, die sich jedoch schon kurz nach dem Essen wieder verabschiedet. Nach so viel Aufregung steht mir der Sinn nach einer „Abkühlung“, und was wäre da besser geeignet, als ein Eishockeyspiel der „National Hockey League“. Zufälligerweise spielen an diesem Abend die New York Islanders gegen die Washington Capitals. Das Nassau Coliseum liegt lediglich fünf Taximinuten entfernt, Tickets zu ergattern sind – anders als in Toronto – kein Problem. An der Kasse erstehe ich für 75 USD einen Platz im besten Segment und kaum habe ich die Arena betreten, setzt eine junge Dame zur US-Hymne an (festes Ritual vor jedem NHL-Spiel in den USA).
Das Spiel wogt lange Zeit torlos hin- und her. Schliesslich führen die Islanders mit 2:1 Toren, bis 50 Sekunden vor Schluss der junge russische Superstar Alexander Ovechkin mit einem Weitschuss ausgleicht: Overtime! Fünf Minuten mehr Spiel fürs gleiche Geld. Es werden schliesslich nur rund drei Minuten, dann beenden die Islanders die Partie mit ihrem dritten Tor. Die Sirene heult, die Zuschauer jubeln. Für einmal haben die richtigen die Nase vorn.
Impressionen aus dem Nassau Coliseum
Flugzeug zu verkaufen
4 years ago
8 comments:
Entweder hat da einer noch immer die Meinung, dass FA's ne Menge Geld verdienen oder es war einer der volldreistens Souvenierjäger. Seit neuestem muss mann ja sogar damit rechnen, dass einem die diversen Pins von der Jacke geklaut werden, wenn diese in der Galley hängt, ganz beliebt bei so manchem Pax, der LX Star Alliance Pin. Einfach unglaublich so was :-(
Viel Glück für Ihre arme Kollegin!
Werde die guten Wünsche bei der nächsten Begegnung weiterleiten.
an anonymous: unglaublich ist vor allem die Art und Weise des Diebstahls. Dies wurde uns erst bei der Betrachtung der Videobilder bewusst. Inmitten einer belebten Hotel- und Frühstückshalle, quasi vor den Augen der übrigen Besatzungsmitglieder, schnappt sich der dreiste Mann die Tasche. Mir wurde klar, dass ich gut daran täte, mein Umfeld zukünftig etwas kritischer zu beobachten...
"...blickt kurz in die Aufzeichnungskamera..."
möge ihn dieser Blick verfolgen; diese Elendsgestalt!
So was gemeines!
Tja, die Menschheit wird immer dreister und die Hemmschwelle sinkt. Ich werde mal ein Schild basteln, bei Interesse kann man auch diverse Pins käuflich erstehen...
But however, ich wünsche einen guten Rutsch und alles Gute im neuen Jahr.
Genau was man nach so einem Marathonflug noch braucht...*kopfschüttel*
Ich wünsche Dir Dide und Deiner Familie en guete Rutsch ines erfolgrichs 2008!
Many happy flights, G!
... e guets nöis auf vom nff
An anonymous, g und nff: Herzlichen Dank für die guten Wünsche, die ich auf diesem Weg nur zu gerne zurückgebe! Auf ein spannendes Bloggerjahr...
Dide
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