Tuesday, September 25, 2007

Bunt gemischt

Ach, es gäbe ja so vieles zu berichten. Doch es wird immer schwieriger, Zeit zum Verfassen der Texte zu finden. Unser Leben hier in Abu Dhabi hat nach den Ferien an Schwung zugelegt. So zumindest empfinde ich es nach den langen Wochen dieses Sommers ohne Frau und Kinder. Mit dem Beginn der Schule hat uns eine mächtige Welle erfasst, in deren Sog wir munter einige Sand- oder Strandmeilen mitgetragen werden.

Social Life
Vielleicht beginne ich am besten mit dem vergangenen Wochenende. Unsere ganze Familie ist eingeladen bei einer amerikanischen Nachbarsfamilie, den „Gunnisons“. Frances, Ehefrau und Mutter von sechs Kindern betreibt seit kurzer Zeit ebenfalls einen Blog (http://sandflowers.blogspot.com/), in dem sie ihre Eindrücke und Erlebnisse festhält. Mehr noch, sie schreibt bereits seit geraumer Zeit an einem Buch und bildet sich weiter in diversen Autorenkursen im In- und Ausland. Ausserdem ist sie Mitbegründerin des Bücherclubs, an dessen Treffen auch Franziska regelmässig teilnimmt.
So sind wir also, unsere ganze Familie, bei den Gunnisons zu Gast und bevölkern ihre geräumige „Six Bedroom Villa“. Frances hat ausserdem noch vier andere US-Sippen aus dem „Al Qurm Compund“ zu sich gebeten, so dass wir Helvetier wieder einmal hoffnungslos in der Unterzahl sind und – ähnlich wie unser Heimatland – in Gefahr laufen, weltpolitisch in die Anonymität der Kleinstaaten abzugleiten. Amerikaner so weit das sehende Auge und das gesprochene Wort reichen, mit Ausnahme von Hatim und Adele, einem ägyptisch-schottischen Paar, ebenfalls aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Hatim ist passionierter Whisky-Trinker und erscheint - Ramadan hin oder her - an ähnlichen Anlässen meist mit der eigenen Scotchflasche in der Hosentasche. Wenn er sich verabschiedet tut er dies in der Regel mit leerer Hosentasche und trockener Whiskyflasche.
Die Stimmung an diesem Abend ist entspannt und angenehm. So locker und unverkrampft wie man sie grundsätzlich bei einem amerikanischen „Prosecutor“ in Botschaftsdiensten nicht unbedingt erwarten würde. Einziger Wermutstropfen ist die Abreise einer ebenfalls amerikanischen Familie, die unerwartet zurück in die Staaten fliegt und damit ihren Aufenthalt in Abu Dhabi abrupt beendet. Der Vater ist diesen Sommer an Leukämie erkrankt und wird gemäss Prognosen seiner Ärzte nicht mehr lange leben. Die drei Söhne sind allesamt in Tims Alterssegment und ebenfalls, wie die meisten US-Kinder des Compounds, Schüler der ACS. Tim durfte jeweils mit ihnen zur Schule und zurück fahren, in der Freizeit gehörten Chris, Carlton und John zu den schillerndsten „Jugendaktivisten“ des Compounds. Ihre plötzliche und unerwartete Abreise – just an diesem besagten Abend eben – hinterlässt eine spürbare Lücke im sozialen Geflecht der „Al Qurm“-Jugendlichen. Und da sich heute mehr als ein Dutzend von ihnen im Anwesen der Gunnisons aufhalten, drückt dieser (endgültige) Abschied auf die Stimmung. Die traurige Geschichte macht deutlich, wie verwundbar unser Erdenglück doch ist. Irgendwann, lange nachdem die Familie abgefahren ist, erhebt die Gastgeberin ihr Glas und meint: „Life is so short – we have to enjoy it as long as we’re able to!“ Was zwar die Kranken nicht unbedingt gesund und die Toten nicht lebendig werden, die Seelen aber für einen kurzen Moment im Glauben an das Gute sündigen lässt.

Familienzuwachs
Hier gibt es gleich zwei Neuzuzüge zu vermelden: das eine Neumitglied ist aus Blech, Kunststoff und Leder gefertigt, weiss lackiert, aus zweiter Hand und trägt einen Stern auf der Haube, das zweite Mitglied tritt etwas bescheidener auf und ist in schwarzes Tuch gewandet.
In gut zwei Wochen, nach dem Ende des Ramadan, wird Romana, unsere neue Maid einziehen. Franziska und ich sind aufgrund unserer Aktivitäten immer öfters ausser Haus aktiv und können etwas Unterstützung gut gebrauchen. Nun da feststeht, dass die Deutsche Schule definitiv ins neue Gebäude wechseln wird, ist ein Mehraufwand für Franziska und das Bibliothekenteam auch für nicht Sternenkundige leicht absehbar. Die „Falcons“halten mich ebenfalls auf Trab, so dass andere Aktivitäten über Gebühr leiden. Deshalb das Vehikel mit dem Stern: Wir brauchen ein zusätzliches Fortbewegungsmittel. Die im vergangenen Jahr noch ziemlich einfache Koordination wird zunehmend komplexer. Und letztlich bin ich froh, nach 50 Jahren endlich plausible Gründe für einen Mercedes-Kauf gefunden zu haben: Flexibilität, ungezügelte Freiheit sowie der momentan äusserst tiefe Kurs des Dirham. Abgesehen davon sind die Autos in Abu Dhabi mindestens 20 Prozent billiger als in der Schweiz. So gesehen, kriegen wir den Wagen quasi geschenkt. Da wäre es ja direkt fahrlässig, ein solches Schnäppchen auszuschlagen...

Hockey is on
Die Eishockey-Saison hat vor etwas mehr als einer Woche begonnen, und zwar gleich mit einem Highlight: mit Sandy Velenosi und Zack Blashkiw kommen zwei kanadische Coaches nach Abu Dhabi und leiten ein „Powerskate und Hockey Development-Camp“, das insgesamt über 60 junge Spieler aufs Eis lockt. Ich habe sogar meinen Freiwunsch erhalten und kümmere mich während drei Tagen um sämtliche Belange der beiden Hockey-Cracks. Dabei spiele ich Chauffeur, Fremdenführer und Betreuer zugleich. Ich gehe sogar soweit, dass ich, um mit den „Crazy Canucks“ mithalten zu können, meiner sensiblen Leber nach Sonnenuntergang grössere Mengen alkoholischer Getränke zuführe, was zwischenzeitlich deutliche Spuren hinterlässt.
Ebenfalls Spuren, glücklicherweise aber ausschliesslich im mentalen Bereich, hinterlassen zwei Zwischenfälle auf dem Eis: Da ist zum einen der unglückliche Fall eines Coaches auf den nicht behelmten Hinterkopf und zum anderen der gestürzte Spieler, der mit hoher Geschwindigkeit ungebremst in die Bande donnert, nicht mehr atmen kann und minutenlang regungslos liegen bleibt. Wir haben grosses Glück, denn in beiden Fällen sind Ärzte zur Stelle, deren Söhne zu den Teilnehmern gehören, und in beiden Fällen sind die Verletzungen minim. Beim verletzten Coach geht der Herr Doktor gar so weit, dass er sich nach getaner Pflicht dazu hinreissen lässt, Sandy, Zack und meine Wenigkeit (ein Präsident geniesst eben Sonderrechte) auf eine abendliche Bootstour einzuladen. So treffen wir uns nach der harten Arbeit auf dem Eis in der Marina beim Hotel Intercontinental und „entern“ zusammen mit einer Gruppe frankokanadischer Ärzte eine nicht ganz unbescheidene und auf den Namen „Marie-Claude“ getaufte Barkasse. 20 Personen sind es an der Zahl, Erwachsene, Kinder und zwei Hunde. So flitzen wir an den Strand von „Bahraini Island“. Dann werden riesige Cooler geöffnet, Bierbüchsen enthauptet und Salamipackungen entjungfert. Wir legen uns ins laue, knietiefe Wasser und geniessen das „Dolce far niente“ im Arabischen Golf. Der Sonnenuntergang auf der Rückfahrt toppt das Erlebte und Sandy beginnt immer öfter von einem Umzug seiner Hockeyschule (http://www.velsk8.com/) nach Abu Dhabi zu fantasieren.

A430-600
Neben solchen und ähnlichen Highlights kommt es immer wieder vor, dass ich im Cockpit sitze und meiner hauptberuflichen Tätigkeit nachgehe. Mittlerweile habe ich auch meine ersten A340-600 Flüge hinter mir. Einen kurzen „Turnaround“ nach Delhi und in der vergangenen Woche den ersten Einsatz nach Toronto. Da wären wir also bereits wieder bei den Kanadiern.
Toronto – die Eishockey verrückte Stadt am „Lake Ontario“, Sitz der „Hockey Hall of Fame“ mit Spielernamen in ihren Hallen, die das viel gerühmte Eis schmelzen lassen wie die Sonne den Wachs von Ikarus’ Flügeln.
















Auf Sightseeing Tour in Toronto
















The "Hockey Hall of Fame"

Noch bedient Etihad die Stadt erst vier Mal wöchentlich, so dass die Besatzungen von Mehrnächtern profitieren. Ein Freitag in der Metropole ist purer Luxus und – ähnlich wie die Anschaffung eines Mercedes – ein Privileg erster Güte. Die Tatsache, sich dessen bewusst zu sein, reduziert allfällig aufkommende Schuldgefühle auf ein Minimum. Der Aufenthalt bei prächtigstem Wetter lässt Jubelstimmung aufkommen, die „Sightseeing-Tour“ im offenen Doppeldecker Frühlingsgefühle. Dabei stehen wir vor den Pforten des Herbstes und müssen bereits wieder mit frühmorgendlichen Nebelschwaden rechnen. Nicht nur in der Schweiz oder in Zentraleuropa wohlverstanden. Auch Abu Dhabi ist in höchstem Masse gefährdet! Womit wir bereits beim wahren Highlight dieser Rotation wären; einer „Diversion“ nach Al Ain. Bereits die Wettervorhersage beim Abflug in Toronto verhiess nichts Gutes für unsere Ankunft in der Wüste. Als wir schliesslich – 12 Stunden später und 100 Tonnen leichter – in Abu Dhabi eintreffen, kreisen bereits die ersten beiden Maschinen im Holding. Die Sicht beträgt 100 Meter, teilweise noch weniger. „No improvement expected for the next 1 ½ hours“ vermeldet „Approach Control“. Obwohl wir zusätzlich Sprit getankt haben, scheint uns in Anbetracht dieser Ausgangslage einzig eine vorzeitige Ausweichlandung in Al Ain vernünftig. Denn „Most“ zu "verbraten" und anschliessend womöglich mit knappem Fuelbestand als letzte den Ausweichplatz anzusteuern, wollen wir nach dieser langen Flugzeit um jeden Preis vermeiden. Die Lösung erweist sich im Nachhinein als gut, denn nach einer Stunde auf dem heissen Beton von Al Ain rollen wir bereits wieder zur Startpiste und landen 20 Minuten später in Abu Dhabi. Andere Kollegen stehen noch auf dem Tarmac und warten auf den Tankwagen oder auf ihre Flugunterlagen. „First come, first serve“ – da macht die Fliegerei keinen Unterschied.

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