Diese Zahlen stammen nicht von mir, sondern von Alfred W. Hugentobler, dem Präsidenten des Verbandes Schweizer Aviatik-Jounalisten. Wenn nun der „durchschnittliche Vielflieger“ solch eindrückliche Werte erreicht, dürften Mitglieder von Flugzeugbesatzungen – also „Vielflieger“ von Berufes wegen – einen weit höheren Anteil ihres Lebens mit Warten und Pendeln im und ums Flugzeug verbringen. Besonders Piloten, die in der Regel ein Berufsleben lang dem selben Metier nachgehen. Die Frage hat mich schon oft beschäftigt. Sinnigerweise bei langen Busfahrten zwischen Airport und Hotel. Oder beim Anstehen vor der Passkontrolle.
Warten und Pendeln; immer wieder und immer öfter.
Nach 14 stündigem Flug in New York angekommen, warten wir erst einmal brav auf unsere Koffer. Genauso wie die Passagiere. Dann reihen wir uns vor dem speziell für Besatzungen eingerichteten „Immigration-Counter“ ein. Es wäre aber vermessen zu glauben, die hier eingesetzten Beamten würden flüssiger arbeiten als ihre Kollegen an den für die Passagiere vorgesehenen Schaltern. Dafür vereinen sie in der Üppigkeit ihrer diversen Badges und Insignien mindestens die Meriten eines Kriegsveterans und eines GSG9-Agenten. Betont lässig und mit desinteressiertem Gehabe heissen sie uns den linken, dann den rechten Zeigefinger auf den Detektor zu drücken und in die Kamera zu lächeln. Anschliessend gehts weiter zum "Bus Pick-Up". Auch dort ist in der Regel warten angesagt. Vor allem an sehr kalten und windigen Tagen mit Regen oder Schneefall. Und wenn wir dann endlich im unterkühlten (Sommer) oder überheizten (Winter) Gefährt Platz genommen haben und die Räder zu drehen beginnen, bleiben noch mindestens 40 Minuten, in denen schäbige Häuserzeilen und unendlich viele Basketball- und Baseball-Plätze für jugendliche Sportler Long Islands an uns vorbeiziehen. Ebenso lang dauert übrigens die Rückfahrt zum Flughafen am folgenden Tag. Macht insgesamt 80 Minuten Busvergnügen pro JFK-Einsatz. Bei durchschnittlich zwei „New Yorkern“ im Monat ergeben das bereits 32 jährliche Busstunden auf Obamas Strassennetz. Und da Etihad-Piloten auch in anderen Metropolen dieser Welt nächtigen, kommen über die Monate noch einige Stunden dazu.
Bevor wir das Flugzeug für den Heimflug besteigen stellen wir uns wieder artige zehn Minuten in die Schlange beim Security-Check. Nehmen den Laptop aus dem Crewbag, klauben Portemonnaie, Lesebrille, Handy, Schlüssel und Kleingeld aus der Tasche, entledigen uns der Rolex, IWC, Breitling oder Swatch sowie des Gurtes, manchmal auch der Schuhe – und können trotzdem nicht verhindern, dass der Detektor bei der Passage mit einem ekligen Piepston reklamiert. Also noch einmal unter dem Bogen durch, diesmal vielleicht ohne Kugelschreiber oder Fisherman’s Friend-Beutel. Warum, so frage ich mich immer wieder, gibt es keinen universalen „Einheits-Screening-Wert“, nach dem sämtliche Geräte dieser Welt analog piepsen? Wir kennen die "UTC" (Universal Time Coordinated), die weltweit gültige Richter-Skala und diverse Einheitswährungen. Weshalb schaffen die Verantwortlichen nicht so etwas wie die „USR“; die „Universal Screening Reference“...?
Wird Sicherheit in New York anders definiert als in Zürich oder Paris? Vermutlich. Ticken Bomben in Australien anders als in Kanada? Es ist anzunehmen. Möglicherweise schrauben raffinierte Security-Beamte die Anzeige-Sensibilität der Geräte vorsätzlich herunter. In der gierigen Vorfreude auf weibliche Reisende, die immerfort zurückgeschickt werden und sich vor jeder weiteren Passage ein neues Kleidungsstück vom Leibe reissen. Würden die Verantwortlichen mit derselben Hartnäckigkeit aggressive und rüpelhafte Passagiere ins Visier nehmen, liessen sich Übertritte und Attacken in der Kabine zweifellos reduzieren.
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In London habe ich kürzlich eine neue Variante des lustigen „Screening-Acts“ erlebt: Dazu muss man wissen, dass die Besatzung mit dem Bus in eine durch zwei Schranken abgeriegelte Schleuse einfährt. Anschliessend müssen sämtliche Insassen – also auch der Fahrer – mit Koffer und Handgepäck nach oben beschriebenem Muster eine Security-Schleuse passieren. Die Kontrollen sind streng. In unregelmässigen Abständen öffnen die Beamten einzelne Koffer und untersuchen deren Inhalt. Diskretion spielt keine Rolle, die ganze Besatzung darf zuschauen und einen neugierigen Blick ins Necessaire der Kollegin oder des Kollegen werfen.
Unsere 14-köpfige Crew ist beinahe durch, als es in der „Hochsicherheits-Baracke“ plötzlich dunkel wird. Sämtliche Geräte geben den Geist auf. Auch die Röntgenmaschine. Ein Notstromaggregat scheint nicht vorhanden, so warten wir zuerst einmal zehn Minuten. Der angekündigte Techniker erscheint nicht, zwei Flight Attendants beginnen verzweifelt nach ihren im Detektor stecken gebliebenen Schuhen zu grübeln. Als sich auch nach weiteren fünf Minuten kein rettender Stromfluss einstellt, werden wir geheissen, die gesamte Kontrolle an einer anderen Schleuse zu wiederholen. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Denn infolge des Energie-Kollapses sind auch die Barrieren blockiert. Unser Bus ist gefangen wie die Maus in der Falle. Die Besatzung ebenfalls. Dann endlich lässt sich eine Schranke manuell hochkurbeln. Der Fahrer demonstriert uns die Wendefähigkeit seines Gefährts auf engstem Raum, und sucht sich einen Weg durch den Flughafenverkehr zur nächsten Schleuse. Dort geht der ganze Tanz von vorne los: Barriere hoch, einfahren, anhalten, aussteigen, Gepäck ausladen, röntgen, Gepäck wieder einladen, einsteigen, weiterfahren.
Der ganze Spuk kostet uns 50 Minuten. Die Vorbereitungszeit auf dem Flugzeug wird knapp. Nachdem sämtliche Türen geschlossen sind, stossen wir zurück und starten die Triebwerke. Dann reihen wir uns ein: in einer weiteren Warteschlange. Diesmal sind es abfliegende Flugzeuge auf dem Weg zur Startpiste 27L. Wir kommen trotzdem pünklich in die Luft.
Denn manchmal geht alles auch ein bisschen schneller. Ausser vielleicht die Sicherheitskontrolle.