Bunte Mischung
Nach meinem Abstecher an den Fuss des Himalaya tausche ich den immer sonnigen Fensterplatz im Cockpit für satte zwei Wochen gegen meinen Kippstuhl im kleinen aber gut klimatisierten, lichtschwachen und klaustrophobisch anmutenden „Flight Safety“-Büro. Aufgrund einer länger dauernden Ferienabwesenheit von André und seiner Familie wird unser an Erfahrung junges Team tüchtig gefordert. Das mag übertrieben klingen und nach billigem Boulevard riechen, kommt der Wahrheit jedoch näher als die Behauptung, wir genössen ein Faulenzer-Dasein. Die tägliche Überwachung und Verarbeitung der laufenden Flugoperation im Bereich „Flight Safety“, insbesondere die Erfassung der automatisch generierten „Exceedance-reports“ oder der von Piloten verfassten Rapporte hält uns auf Trab. Die Schilderung meines Büroumfeldes bietet zwar kaum Stoff für literarische Höhenflüge, soll mir an dieser Stelle aber dennoch einige Phrasen wert sein, nicht zuletzt um einen verständlichen Bogen von „Ground zero“ auf „Vierzigtausend Fuss“ zu spannen.
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Der gesamte Bereich „Flight Safety“ befindet sich bei Etihad Airways in einem rasanten Wandel: Was von Schweizer Hand vor drei Jahren im anfänglich kleinen Rahmen minutiös aufgebaut wurde, genügt den heutigen Bedürfnissen der sprunghaft wachsenden Airline nicht mehr. Nach dem Abgang des einen „Ziehvaters“ zur Gulf Air, steht nun der Brite John D. an der Spitze des Departements, das sich neu „Corporate Safety“ nennt. Er verfügt mit seinen knapp 60 Lenzen und seinem aviatischen „Curriculum Vitae“ über äusserst sehenswerte Referenzen. Als langjähriger Pilot bei British Airways, unter anderem als Copi auf VC-10 und der Concorde, später als Captain und stellvertretender Chefpilot auf B747-400 und am Schluss auf der B777 ist er bestens mit den Belangen ständig wachsender Sicherheitsanforderungen vertraut. In sämtlichen Teilbereichen wie "Flight Data Monitoring", "Investigation" und "Risk Assessment" sind im Zuge der Vergrösserung weitere Teilzeitmitarbeiter dazugestossen. Neben dem vollamtlich im Büro tätigen „Investigator“, einem Pakistani, gehören neu Piloten aus Malaysia, Australien, Neuseeland und England zum Team. Auch ein Emirati ist mit von der Partie, und mit André – dem anderen Mann der „ersten Stunde“ – und mir nach wie vor zwei Schweizer. Um die Belange der Kabinenbesatzung kümmern sich Pushpa und Thea, zwei „Cabin Manager“ aus Indien und den Philippinen.
Kleine Büros
Unsere bescheidenen Büros liegen zur Zeit noch in einem barackenähnlichen Gebäude unmittelbar beim Flughafen. Wir teilen die Räumlichkeiten mit anderen Stellen des Bereichs „Flight Operations“. Dazu gehören der „Executive Vice President Operations“, der "Vice President Flight Ops“, die Flottenchefs und die Chefinstruktoren. Auch die technischen Piloten sowie das gesamte Administrationsteam arbeiten unter demselben Dach. Der Umzug in den neuen Hauptsitz soll Ende Jahr stattfinden.
Die Stimmung ist nicht mehr wie früher malaysisch sondern vielmehr anglistisch-germanisch geprägt und sehr locker. Die Bürotüren stehen in der Regel offen, was dem einen oder anderen Schwatz durchaus förderlich, der individuellen Effizienz hingegen eher abträglich ist. So meinte kürzlich unser „Investigator“ schmunzelnd, dass ein Wirkungsgrad von 50 Prozent unter den gegebenen Umständen bereits eine Meisterleistung sei. Und er muss es schliesslich wissen, verbringt er doch jeden Arbeitstag im Bürogebäude.
Auch das Telefon klingelt ab und zu. Vielleicht muss ich an dieser Stelle anfügen, dass der einzige Apparat in unserem, mit drei bis fünf Personen besetzten Kämmerchen auf meinem Pult steht, die meisten Anrufe aber für besagten „Investigator“, dessen Arbeitsplatz in meinem Rücken liegt, bestimmt sind. Mittlerweile haben wir Mittel und Wege gefunden, die mir auch während seiner Telefonate erlauben, meinen Pflichten nachzugehen. Und zwar ohne dabei in Gefahr zu laufen, von einem Telefonkabel stranguliert zu werden und damit definitiv unter die 50 Prozent-Effizienzmarke zu fallen.
Der indische Tea- and Coffeeboy versorgt die gesamte Belegschaft mit heissen oder kalten Getränken. Er tut dies mit beachtlicher Aufmerksamkeit und einer stoischen Ruhe. Bereits nach der ersten Bürowoche hat er meine persönlichen Präferenzen absolut im Griff. Zehn Minuten nach meinem morgendlichen Eintreffen serviert er die erste Tasse Tee mit einem Schuss Milch. Der Kaffee ist ungeniessbar. Eine halbe Stunde später bringt er unaufgefordert Nachschub. Am Nachmittag geht’s im gleichen Stil weiter. Ich habe es ihm nach meinem letzten Abstecher in die Schweiz mit einer Packung Toblerone verdankt. Wie übrigens einigen anderen Kollegen auch. Denn Geschenke erhalten ja bekanntlich die Freundschaft. Im Osten wie im Westen.
Neue Destination
Ein Vorzug bürolistischen Schaffens ist die Tatsache, stets frühzeitig informiert zu sein. Neben den allzeit hochtourig kursierenden Gerüchten, sickern harte Fakten etwas früher durch. Beispielsweise die Ankündigung, dass Etihad ab März 2009 tägliche Direktflüge nach Melbourne anzubieten plant. Neben Sydney und Brisbane wird somit eine dritte australische Destination ins Streckennetz aufgenommen. Ausserdem wird Sydney ab Oktober elf statt wie bisher sieben Mal pro Woche angeflogen. Dies ist möglich, weil zwei neue A340-600 zur Flotte stossen werden.
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Dass nicht alles Gold ist was glänzt, beweist die akute Wohnungsnot in Abu Dhabi. Wer heute in die Stadt zieht, hat grosse Mühe eine Unterkunft zu finden. Die wenigen Vakanzen wechseln ihre Mieter entweder unter der Hand oder sind im Preis völlig überrissen. So zahlt man heute für eine Dreizimmerwohung auf der Insel schnell einmal 250'000 Dirham. Der bei Etihad neu eingestellte „Health and Safety“-Manager gehört ebenfalls zu den Leidgeplagten. Auch nach zwei Monaten und der Hilfe des firmeninternen „Housing departments“ wohnt er mit seiner vierköpfigen Familie immer noch im Hotel. Das gefällt dem guten Mann verständlicherweise gar nicht. Die Familienmoral ist auf dem Tiefpunkt. Doch er ist Engländer und verfügt über den sprichwörtlich Britischen Humor. Jeden Morgen steckt er den Kopf in unser Büro, nie verlegen um eine treffende Pointe. Unsere Frage nach dem Befinden beanwortete er gestern trocken mit: „Oh quite good since I decided yesterday not to hang myself...“