Ich mag es kaum glauben, aber wir schreiben bereits wieder den Monat Mai. Und am 21. wird es exakt ein Jahr her sein, seit mein Engagement bei Etihad Airways begonnen hat.
Politiker in neuen Chargen und Ehren pflegen jeweils zu besonderen Momenten Rückschau zu halten. In der Regel tun sie dies erstmals nach 100 Tagen. Das habe ich verpasst. So vieles ist bis heute passiert, wichtige oder besondere Momente, die ich regelmässig wie ein Schweizer Uhrwerk in diesem Blog festgehalten habe. Dabei gelang es mir jedoch bestenfalls, die sprichwörtliche Spitze des Eisberges zu skizzieren.
Nun zieht bereits wieder der Sommer ins Land und die Expats, im Besonderen deren Frauen und Kinder bereiten sich auf die grosse Sommerpause vor während die Ehemänner die Weichen für ihr Strohwittwer-Dasein stellen (Anhäufung eines geheimen Vergnügungskontos, Aktualisierung der Bar- und Adresslisten, usw). Die Schulen haben das Ende des Wintersemesters und damit des laufenden Schuljahres im Visier und irgendwie ist Aufbruchstimmung spürbar. Nach den Sommerferien werden neue Ausländer ins Land strömen, während andere Familien nach ihrem UAE-Aufenthalt zu neuen Destinationen streben. Mich erinnert die Situation ein wenig an unsere Ferien vor einigen Jahen beim Zirkus Monti. Abbruch und Aufbau der Zelt- und Wagenstadt gehören zum Alltag und werden begleitet von Vorfreude, Spannung und einer gewissen Unrast.
So genannt „stabile Verhältnisse“ wie wir sie aus der Schweiz kennen, beispielsweise in Schulen, Vereinen und Behörden gibt es hier nicht. Jedes Jahr werden die Karten neu gemischt. Man werde sich daran gewöhnen, versichern uns erfahrene Auslandfamilien. An die Tatsache,
neu gewonnene Freunde zu verlieren, an die Tatsache,
neue Nachbarn zu erhalten, an die Tatsache, die Kinder in
neue Schulen zu fahren, aber auch an die Tatsache, 7 Prozent mehr Miete fürs Haus zu bezahlen. (Beinahe) alles ist
neu – für einmal nicht im Mai, sondern im August, nach Abschluss der unendlich langen Sommerferien.
Wohin führt der Weg...?Schulische VeränderungenVeränderungen stehen auch bei uns an, speziell im Bereich der Schule. Im Thüringischen Schulsystem beginnt die Oberstufe früher als bei uns in der Schweiz. Am Ende der Klasse fünf spricht die Schule eine so genannte Schullaufbahnempfehlung aus und ab Klasse sechs werden die Schüler gemäss dieser Empfehlung unterrichtet und benotet. Es wird nach Hauptschule, Realschule und Gymnasium differenziert.
Am vergangenen Sonntag teilte uns Frau Friedrich, Ninas Klassenlehrerin, mit, dass unsere jüngste Tochter im kommenden Jahr in die Gymnasiumsgruppe eingeteilt werde. Nina hat sich darüber – ebenso wie die Eltern – riesig gefreut und ist mindestens um 2 cm gewachsen. Linda kann die Sache locker angehen, denn bei ihr wird sich nicht viel ändern. Denkbar, dass demnächst auch einige Mädchen in ihre Klasse kommen, so dass sie nicht mehr als einzige die Interessen der weiblichen Garde vertritt. Pech – jetzt, wo sie sich so gut an die vielen Jungs gewöhnt hätte....
Anders sieht die Sache bei Tim aus, der – wie von seiner früheren Stadler Primarlehrerin richtig vermutet – in der Tat nicht mehr der“lustige Kasperli“ ist, der er einmal war, sondern bestenfalls noch ein „grosser Kasper mit lustigen Allüren“. Nach dem Abschluss der 10. Klasse an der DSAD muss er die Schule verlassen, denn noch wird kein Abitur angeboten, auch wenn die neue Schulleitung mit Hochdruck daran arbeitet.
Nachdem er die Aufnahmeprüfung bestanden hat - al hamdullilah - kann Tim im nächsten Schuljahr die „American Community School“, kurz ACS (
http://www.acs.sch.ae/), besuchen. Gleich wie seine deutschen Klassenkameradinnen Amelie und Anne. Den dreien steht mit Sicherheit keine einfache Aufgabe bevor, dies bekamen sie bereits beim Assessment zu spüren. Dass alle drei an der sich einer riesigen Nachfrage erfeuenden ACS aufgenommen wurden, ist keine Selbstverständlichkeit. Uns wurde mehrfach betont, dass in erster Linie AmerikanerInnen berücksichtigt würden. Umso mehr freuen wir uns über Tims erfolgreiches Abschneiden. Sein Tagesablauf wird zweifellos strenger werden, denn es bleibt sein Ziel, nach zwei Jahren mit dem „International Baccalaureate“ abzuschliessen. Keine einfache Aufgabe, da er bis anhin vorwiegend in Deutsch unterrichtet wurde und das Vorbereitungsjahr (Grade 10 der ACS) nicht absolviert hat.
Shisha und Eishockey....... und Shisha im WüstensandBaustellen allenthalben...
Aber beileibe nicht nur der Nachwuchs wird gefordert. Auch den Eltern hat das emiratische Schicksal einige flotte Muntermacher untergejubelt. Wobei ich hier vielleicht bei der Wahl des Verbs nicht gar so präzise bin, denn „unterjubeln“ suggeriert zweifellos, dass die Betroffenen ihr Schicksal in gänzlicher Unschuld ereilt hat. Dies ist bei uns nicht unbedingt der Fall. Franziska engagiert sich bereits seit längerem im Festkomitee der DSAD. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen für den Jubiläumsball zum 30. Geburtstag der Schule. Allerdings nicht unbedingt in harmonischer Eintracht und Minne, sondern mitunter etwas holperig und stockend. Die Feier findet am 31. Mai im „Officers Club“ statt, die 10.-Klässler üben eifrig im obligatorischen Tanzkurs, denn es wird an ihnen sein, die ersten Schwünge auf dem Parkett zu tun. Da ist Tim nicht einmal so unglücklich darüber, dass er sich beim Schulsport den grossen Zeh des rechten Fusses übel verletzt hat. Wolfgangs erste „Spontan-Diagnose“ liess uns zwar etwas zuwarten, als sich Form und Farbe des Zehs wenig später jedoch zunehmend veränderten, liessen wir im „Gulf Diagnostic Centre“ eine Röntgenaufnahme machen. Sie lieferte uns die Erkenntnis, dass kein Bruch sonden lediglich ein „severe trauma“ vorliegt. Zwei Wochen Sportverbot lautete das Verdikt der Ärztin.
Wohl humpelt Tim nun seit Tagen durch die Gegend, auf die Teilnahme am Freundschaftsspiel gegen das C-Team der Herrenmannschaft „Abu Dhabi Scorpions“ wollte er aber dann doch nicht verzichten und zwängte seinen geschwollenen Zeh in die beklemmende Enge seines Schlittschuhs. Schnell noch zwei Schmerztabletten geschluckt, schliesslich spritzen sich die Profis ja auch des öfteren fit, und dann ab aufs Eis. Zum Sieg hat’s dennoch nicht gereicht – dafür genossen jung und alt ein abwechslungsreiches und unterhaltsames Spiel. Dem grossen Zeh geht’s seither nicht besser und das Humpeln hat auch nicht aufgehört – im Gegenteil – aber ein echter Sportler muss halt manchmal leiden...
Und wenn wir schon beim Eishockey sind wäre noch anzufügen, dass ich mich wirklich dazu überreden lassen habe, das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Obwohl das offizielle Regnum erst Ende Mai beginnt, habe ich diese Gutmütigkeit schon mindestens fünf Mal bereut. Der Club befindet sich in einem desolaten Zustand, und spätestens seit der amtierende Präsident mitten in der Saison quasi die Segel gestrichen hat, streiten sich verschiedene Interessengruppen um unwichtige Kleinigkeiten.
Da hageln Mails und Vorwürfe auf mich ein, die mich an meiner Menschenkenntnis
(“…You are making a big mistake taking her in the committee, a lot of people agree with me on this…” oder
“…at the moment you seem more intent on listening and defending these parents and committee members whom have absolutely minimal understanding of hockey instead of people with experience…”) wie auch an meiner Integrität
(„...I am disappointed, as are others, with the unprofessional way your decision was made, believing rumour rather than fact...“) wiederholt zweifeln lassen.
Habe ich solches wirklich nötig? Warum nur tue ich mir dies an?
Nun, während der Sohn mit geschwollenem Zeh still leidet und sich die Ehefrau an organisatorischen Knacknüssen die Zähne ausbeisst kann ich unmöglich guten Gewissens die traute Ruhe des Pools oder das entspannende Blubbern der Shisha geniessen. Schliesslich will das Privileg des exotischen Wüstenlebens auch verdient sein! Abgesehen davon haben wir in diesem Jahr alle gelernt, die Dinge nicht so eng zu sehen und mit einer gewissen Gelassenheit anzugehen.
So schreibe ich denn unzählige Mails und führe Telefongespräche mit unzufriedenen Coaches und mobbenden Eltern. Wer glaubt, Eishockey in der Wüste würde von den Beteiligten auf die leichte Schulter genommen, der täuscht sich gewaltig! Nun denn – sicherheitshalber habe ich mein Demissionsschreiben bereits abgefasst und in einer geheimen Computerdatei gespeichert. Für alle Fälle.
Während ich die letzen Sätze in den Laptop hämmere, kommt Franziska von einer Sondersitzung des Festkomitees nach Hause.
„Baustellen bei dir und bei mir...“, kommentiert sie die aktuelle Lage lakonisch. Da haben wir uns ja was Schönes eingebrockt. Zum Glück scheint jeden Tag die Sonne – da können wir uns mindestens nicht über das Wetter beklagen...