Wednesday, April 27, 2011

Sognare non é proibito

Während die zivilisierte Welt nach London schaut und sich für die royale Vermählung rüstet, tauche ich in einer engen Gasse von Mailands Innenstadt ab. Irgendwann fällt mein Blick auf zwei nebeneinander liegende Schaufenster, die beide bis zum Boden reichen. Dazwischen klebt eine übergrosse Eisreklame an der Wand. Auf grünem, rotem oder gelbem Grund steht in fetten Lettern geschrieben, was der Kundschaft alles geboten wird: Giornali, Rivisti, Libri lese ich über dem linken Fenster, equo caffé und Gelateria über dem rechten. Nicht schlecht, eine ideale Kombination: Bücher, Magazine und dazu Kaffee oder ein Eis.

Ich habe bereits drei Cappuccini intus, auf Gelati hab ich keine Lust. Sonst wär ich glatt hineingestochen. Die Kaffeestube, oder sollte ich eher die Leseecke oder die Gelateria schreiben, wirkt einladend. Ich schleiche mich näher ans Fenster und werfe einen Blick ins Innere. Der Raum wirkt eher eng, Tische sehe ich keine. Hingegen gut gefüllte Zeitungs- und Büchergestelle. Ein untersetzter Italiener, dessen Nationalität blosse Vermutung und keinesfalls belegt ist, hantiert flink an einer dieser überdimensionierten, silber glänzenden Kaffeemaschinen. Am Tresen wartet eine ältere Dame mit hochgestecktem Haar auf ihren Kaffee. Der Barista greift nach dem Krug, der neben ihm steht. Er klopft ihn zweimal leicht auf die Ablage, schwingt das Gefäss kreisförmig, dann giesst er die aufgeschäumte Milch mit eleganter Bewegung in die Tasse. Mit einem flüchtigen Lächeln bedient er die wartende Frau. Durchs Fenster glaube ich zu erkennen, wie sich seine Lippen zu einem stumpfen „Prego“ dehnen. Dann schraubt er den nächsten Kolben unter die Kaffeemaschine, während die Dame verzückt ihren ersten Schluck geniesst.

Die Kombination gefällt mir: Bücher und Kaffee. Warum nicht in Lugano, zusammen mit Franziska? Sie wird sich um die Bücher und Magazine kümmern, ich werde mich in der Kunst der Kaffeezubereitung weiterbilden. Eigentlich kann ich das „weiter„ weglassen. Und Franziska habe ich auch noch nicht gefragt. Sie würde kaum zustimmen.

Sognare non é proibito: träumen ist nicht verboten.

Saluti da Milano...

Monday, April 25, 2011

Schlaflos

Bereits zweimal bin ich um den Häuserblock gefahren. Um diese Tageszeit herrscht Hochbetrieb an der Delma-Street. Zumindest vor unserem Haus. Es ist kurz vor Acht, die Menschen ergeben sich in den erwachenden Tag. Aus der Tiefgarage quellen Geländewagen, am Steuer meist Mütter, die ihre morgentrüben Augen hinter mächtigen Sonnenbrillen verstecken. Neben oder hinter ihnen hängen verschlafene Kinder in den Sitzen. Zugestöpselte Ohren schützen vor elterlichen Ermahnungen. Gegen das Trommelfell hämmern wuchtige Bässe. Bald beginnt die Schule.

Um die wenigen Parkplätze rund um den zweiteiligen Wohnblock ist es zu dieser Stunde rasch geschehen. In den unteren Etagen des einen Gebäudes befindet sich eine Gerichtsabteilung. Chaotisch geparkte Autos zeugen von der mobilen Individualität der Emiratis. Schon mehrfach konnte ich erst wegfahren, nachdem ich einen Wagenbesitzer angerufen und gebeten hatte, sein Gefährt zu verschieben. Die meisten dieser Wildparker deponieren ihre Handynummer hinter der Frontscheibe. Immerhin.

Für die einen ist es früh, für andere spät. Ich gehöre in diesem Fall zu den zweiten. Die Nacht habe ich mir im Cockpit um die Ohren geschlagen. Leichtsinnig unvorbereitet, ich gebe es zu. Meine Reserve begann am Vorabend um 18 Uhr. Den ganzen Tag hatte ich in der Eishalle zu Dubai verbracht und dabei unter anderem mitansehen müssen, wie die Abu Dhabi Scorpions von den Dubai Camels im Halbfinal eliminiert wurden. Auf der Rückfahrt schläft Tim neben mir ein. Über seinen linken Unterarm zieht sich eine lange, blutige Schramme. Die Folge einer heftigen Kollision mit der gegnerischen Torumrandung.

Nach dem Abendessen widme ich mich der elektronischen Post. Später, so denke ich, werde ich den Sohn an den Flughafen fahren. Meine Reserve endet um Mitternacht, ich hab sie eigentlich schon abgehakt.
Das Telefon klingelt um halb Neun: „Hi Dieter, it’s Marshall from Crew Control. Sorry but we need you for a Lahore flight.“ Ein Blick aus dem Fenster, dann auf die Uhr. “Wann muss ich denn am Flughafen sein?”
„In half an hour – but relax, no need to rush“. Dann erklärt mir Marshall, dass es sich um einen Line Check des Copiloten handelt. Der vorgesehene Kapitän musste auf dem Weg zur Arbeit wegen plötzlicher Übelkeit umkehren. Dafür gebe ich jetzt ein bisschen mehr Gas. Vierzig Minuten später, schiebe ich meinen Crewbag auf das Band der Röntgenmaschine. Im selben Moment klingelt erneut das Handy in meiner Jackentasche. Marshall will lediglich wissen, wie weit ich schon sei. „I’m basically here“, beruhige ich ihn. Wenig später öffne ich die Tür des Planungsraums.

Als wir bei unserem A340-600 eintreffen, ist es stickig heiss in der Kabine. Wir betreten das Flugzeug durch die hinterste Türe und kämpfen uns durch den endlos langen Rumpf in den Führerstand. Die zahlreichen Mechaniker verheissen wenig Gutes. Die APU, das Aggregat, welches am Boden Strom und Kühlluft liefert, ist ausgefallen. Ausserdem ist eine Komponente der für die Navigation und Bedienung der Autopiloten zuständigen Computer defekt. Das beeinträchtigt in diesem Fall speziell den Copiloten und ist besonders deshalb ärgerlich, weil er derjenige ist, der gecheckt wird. Murphy hat heute nicht nur mit seinen Toren Abu Dhabis Finalträume zerstört (der Stürmer heisst wirklich so!), er – der andere, imaginäre – gesellt sich auch, ganz unanständig und ungefragt, heute Nacht zu uns ins Cockpit.
Wir schaffen es trotzdem ohne nennenswerte Probleme in den Punjab und wieder zurück nach Abu Dhabi. Abgesehen davon, dass die elektrische Hilfsturbine in Lahore kurz vor dem Triebwerkstart überhitzt und uns für zehn Minuten mit einer verdutzten Gästeschar im Dunkeln stehen lässt.

Jetzt sitze ich im Wohnzimmer an der Delma-Street. Der Parkplatzsuche überdrüssig, habe ich Hossein, den besten, zuverlässigsten und hilfsbereitesten aller Wachmänner angerufen. Er hat mir die Nummer eines zur Zeit unbelegten Parkfeldes in der Tiefgarage verraten. Dort habe ich den Volvo abgestellt. Anschliessend habe ich mir in der neu eröffneten syrischen Bäckerei im Hinterhof zwei Manakeesh Jubnah geholt. Ähnlich wie eine Pizza; runder Teigboden, mit Käse belegt, Sesamkörner darüber gestreut und wenige Minuten im oder auf dem Ofen gebacken. Dann gefaltet und heiss gegessen. Die perfekte Art, nach einer durchwachten Nacht den neuen Tag zu starten!

Heute Nacht fliege ich übrigens nach Mailand. Wenn nicht Manakeesh, dann halt Cappuccino...

Friday, April 22, 2011

April 2011

Die Leerräume zwischen meinen Blogposts sind in letzter Zeit grösser geworden. Es könnte der Eindruck entstehen, dass in Abu Dhabi oder in unserem Leben nicht mehr viel läuft. Das Gegenteil ist der Fall.

In diesen Tagen herrscht noch einmal Hochbetrieb im Gästezimmer. Zuerst beherrbergen wir Franziskas jüngeren Bruder mit Frau und den beiden Töchtern, ab Samstag erwarten wir ihre Schwester. Auch Tim hat sich für einige Stunden in der Wohnung eingenistet. Was angesichts der Besuchersituation von Nina verlangt, dass sie vorübergehend ihre Schlafstatt freigibt und sich Kammer und Bett mit Linda teilt.

Doch der grosse Bruder zieht alsbald weiter. Der Grund für seinen viertägigen Kurztrip in die Wüste ist das jährlich in Dubai stattfindende internationale Eishockeyturnier. Tim stürzt sich noch einmal ins Dress der Abu Dhabi Scorpions. Dafür ist ihm kein Aufwand zu gross. Mit der sperrigen, prall gefüllten Hockeytasche im Schlepp, mit Stöcken und Helmen, reist er an und freut sich auf das Wiedersehen mit Freunden und Teamkollegen der vergangenen drei Jahre.

Es ist April 2011. Weniger als zwei Monate noch bis zu unserer Abreise. Schleichend, beinahe unbemerkt nisten sich die kleinen Verrichtungen zur Vorbereitung des Umzugs in unserer Familienagenda ein. Franziska versucht, gemeinsam mit den Hirschhäusers, ein Abschiedsfest vom Stapel zu reissen. Weiter holt sie Offerten von Umzugsunternehmen ein. Fremde Männer stapfen durch unsere Wohnung, notieren Grösse und Anzahl der Möbelstücke, kratzen sich am Kinn, runzeln die Stirn, bevor sie sich hinter die Rechenmaschine setzen. Immerhin gilt es, den Haushalt einer vierköpfigen Familie von Abu Dhabi nach Winterthur zu verschieben. Inklusive Automobil. Es ist vorgesehen, dass die Zügelwagen in der ersten Juniwoche vorfahren. Unmittelbar nach Lindas Graduation Feier. Dann sticht die Ladung in See, vor Anfang Juli dürfte sie Rotterdam kaum erreichen. Der Strassentrip in die Schweiz ist ein Katzensprung. Bis dann werden wir den ersten Kulturschock überwunden haben...

Ach ja, die ältere der beiden Töchter. Ihre letzten Schultage sind angebrochen. Bald wird sie nicht mehr bei uns wohnen. Linda wird das Land als Erste verlassen. Bereits am Tag nach der Graduation fliegt sie nach Zürich, um gleich anschliessend nach Braunwald zu reisen, wo sie zwei Monate in der Kinderbetreuung eines Hotels arbeiten wird. Ihre Sommerferien werden kurz ausfallen, denn bereits im August gilt es erneut, die Koffer zu packen. Kann gut sein, dass einer nicht genügt. Denn Linda zieht nach Kanada. Nach Vancouver. Zu ihrer grossen Freude (und Überraschung) hat sie von der University of British Columbia (UBC) eine Zusage für ein Psychologiestudium erhalten. Was nicht ganz so einfach ist, denn die Nachfrage nach Studienplätzen an diesem Institut übersteigt das bestehende Angebot erheblich. Wir Eltern freuen uns natürlich ebenfalls, auch wenn es eine seltsam anmutende Vorstellung ist, dass die Tochter zukünftig ihr Unwesen 8335km entfernt von uns treibt. Wo doch manchmal schon 100 Meter zuviel Distanz vom Elternhaus sind...
Damit sind wir die Sorge um den Studienplatz los, dafür ist der Druck aufs Budget leicht gestiegen, und die Aussicht auf eine baldige Pensionierung im gleichen Ausmass gesunken.
Investitionen in die Ausbildung der Kinder gehören zwar nicht zu den rentabelsten, doch die Sinnfrage steht ausser Zweifel. Und die UBC hat uns bislang in jeder Hinsicht überzeugt. Ebenso wie die Kreativität und Inspiration der Studenten und Studentinnen. Ein Beispiel gefällig? Bitte schön.

Tuesday, April 12, 2011

Neue Wohnung

Franziskas Kurztrip in die Schweiz hat sich gelohnt! Wir haben eine Wohnung gefunden! Die Zusage ist soeben, nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft in Abu Dhabi, in unserem elektronischen Briefkasten gelandet.

Das ist nicht ganz so selbstverständlich, denn bereits bei diesen ersten Schritten wurden wir mit administrativen Herausforderungen konfrontiert. Doch die gute Mutter SWISS hat mich nicht im Stich gelassen. Innert kürzester Zeit besorgten uns fleissige Engel eine Bestätigung des zukünftigen Arbeitsverhältnisses, inklusive der von der Verwaltung gewünschten Salärliste. So zuverlässig eben, wie das nur SchweizerInnen tun...

Damit können wir ab sofort wieder unbeschwert im Internet surfen, losgelöst von der stündlichen Verpflichtung, die neuesten Inputs auf Homegate und Immoscout durchzuscrollen. Frei vom panikmachenden Gedanken, ab Mitte Juli in der Zeltstadt unter der Brücke hausen zu müssen.

Die Bleibe erfüllt die meisten unserer – wie bereits früher angetönt – unbescheidenen Wünsche, und gehörte auf Franziskas abgegraster Liste (7 Wohnungen) zu den beiden Top-Objekten: Terrasse, modern eingerichtete Küche, Tiefgarage und Zimmer, in denen sich mindestens drei Personen gleichzeitig aufhalten können, ohne dabei Sauerstoffmangel beklagen zu müssen.
Es kommt sogar noch besser: In der Stube gibts eine Vorrichtung, um an kühleren Abenden (für uns im Moment noch unter 28°...) ein gemütliches Feuer zu entfachen. Und ganz besonders begeistert uns die Lage: Ruhig und trotzdem lediglich einen Steinwurf von der Altstadt entfernt.
Auch Nina gefällts. Sie, die letztlich in den sauren Apfel beissen, und als letzte Mohikanerin Haus und Herd mit den Eltern teilen muss, erhält viel Platz und Raum. Da wird sich das Nesthäkchen wohl zumindest mit dem nahen, und auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erschlossenen, Schulweg trösten können.

Für mich bedeutet dieser Umzug „Zurück zu den Wurzeln“: Ab dem 1. Juli gilt dieselbe Postleitzahl, die ich schon in der Primarschule auf die Adressetiketten gekritzelt habe.
Der Möbel- und Autocontainer wird wohl erst Mitte des Monats in der Schweiz eintreffen. Noch steht unser Hab und Gut in der Wohnung an der Delma-Street. Der Verlad ist auf Anfang Juni geplant. Vielleicht gibts trotzdem einige Nächte im Zelt...


Zu denken gibt mir einzig die Hausnummer: 111!

Doch irgendwann werden auch die bösesten aller Geister vertrieben.

Saturday, April 09, 2011

Auf der Insel

Bereits sind die Ferien wieder zu Ende. Warum gehen sie eigentlich immer so schnell vorbei? Kann es sein, dass Einstein bei einem Ferienaufenthalt zu seiner Relativitätstheorie angeregt wurde? Manchmal fühlen sich sieben Tage an wie ein Wochenende, dann wieder wie eine Ewigkeit.

Die Zeit auf der Insel war herrlich! Auch wenn das Wetter – wer hätte das gedacht – nicht wie gewünscht mitspielte. Die Ausläufer eines mächtigen Sandsturms in Kuwait brachten Wind und Wolken in die Emirate. Wer sein Badetuch oder die Zeitung nicht sicherte, musste sich bald einmal Ersatz suchen.
Zweimal kämpften wir uns um 0700 Uhr aus dem Bett: Für eine Safari und eine Kajaktour in den Mangroven. Das ist nach Bier, mehrgängigem Buffet und Shisha am Vorabend, einfacher gebucht als getan. Mit der Gattin ein Doppel-Kanu zu teilen, verkörpert Eheharmonie in Reinkultur. In ausgereifter Synchronie das Paddel ins Wasser zu setzen, ansonsten antriebsmässige Störungen bis hin zum totalen Kursverlust den partnerschaftlichen Konsens empfindlich stören können.

Nach einigen Tagen auf Sir Bani Yas Island sind wir zurück in Abu Dhabi. Allerdings nur für kurze Zeit. Kaum 24 Stunden nach der Ankunft in der Delma-Street sind Franziska und Tim bereits wieder ausgeflogen. In der Nacht auf Samstag düsen die beiden nach Genf. Tims Ferien sind vorerst vorbei, er wird allerdings in zwei Wochen für das alljährliche, internationale Eishockeyturnier in Dubai noch einmal vier Tage in die Emirate reisen. Mit frisch geschliffenen Kufen ist er vor zehn Tagen aus der Schweiz angereist, die Ausrüstung steht im Keller bereit.

Franziska ihrerseits ist in entscheidender Mission unterwegs. Sie muss in drei Tagen eine Wohnung finden! Die Zeit wird knapp. Sechs Besichtigungen stehen an, dann wird entschieden. Ein bisschen wie Hau den Lukas. Wir hoffen jetzt einfach, dass sie den Hammer richtig schwingt. Etwa so, wie bei ihren Abschlussprüfungen im März in Frankfurt. Nach anderthalb Jahren Fernstudium und drei Seminaren hat sie ihre Grundausbildung zur Buchhändlerin erfolgreich abgeschlossen. Ein Einsatz, der sich zweifellos gelohnt hat und mir – al Hamdullillah – ein kleines Hoffnungsfenster zur frühzeitigen Pensionierung offen lässt...